Körperschema und Propriozeption – wie wir wissen, in welcher Position sich unser Körper befindet

Bestimmt haben Sie in der Schule auch gelernt, dass der Mensch fünf Sinne hat. Dabei sind sich Wissenschaftler heutzutage sicher, dass das so gar nicht unbedingt zutreffend ist. Denn genaugenommen verfügen verfügen über mehr Wahrnehmungskanäle als über das Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. Wir empfinden beispielsweise Temperatur und Schmerzen, und besitzen ein Vestibulärorgan. Diese Struktur in den Bogengängen unserer Innenohren hilft uns, das Gleichgewicht zu halten. Und hieran ist eine weitere Sinnesfähigkeit beteiligt, die Propriozeption. Unter „Propriozeption“ versteht man die Fähigkeit, die Lage der Gliedmaßen im Raum zu bestimmen und sich Bewegungen vorzustellen.

Während Sie diesen Text lesen wissen Sie, wie sich Ihr Körper aktuell im Raum positioniert. Sie wissen, ob Sie liegen oder sitzen, ohne dass Sie die Körperhaltung visuell überprüfen müssten. Man „spürt“ ganz einfach die Lage und Ausdehnung des eigenen Körpers im Raum.

Es gibt einige wenige Menschen auf der Welt, denen diese Rückmeldung aus dem Körper fehlt. Die meisten von ihnen können nicht selbstständig laufen, sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Einem Betroffenen aber ist es mit einem Trick gelungen, das Laufen wieder zu lernen. Es hilft ihm, schneeweiße Schuhe zu tragen, die immer gut sichtbar sind. Denn das Laufen funktioniert bei ihm nur mit Blick auf die Füße. Die Informationen von den Augen müssen die fehlende Rückmeldung aus dem Körper ersetzen. Gleiches gilt für das Schneiden von Kartoffeln oder das Trinken aus einem Becher. Auch hier muss der Mann immer visuell überprüfen, wo seine Hände gerade sind. Wir hingegen können dank unserer Propriozeption Bewegungen präzise koordinieren, da wir „wissen“, wie sich unser Körper im Raum ausdehnt, wie viel Raum er wo einnimmt – auch wenn wir uns dabei nicht beobachten. Personen ohne Propriozeption hingegen haben keine Vorstellung über die Körpergrenzen; für sie fühlt es sich an, als würden sie mit ihrer Umwelt verschmelzen.  

Eine Betroffene beschreibt, dass sie nicht, wenn sie auf einem Handtuch liegt und nicht hinsieht, weiß, wo ihr Körper aufhört und das Handtuch anfängt. Es fehlt die Wahrnehmung des eigenen Körperschemas.

Das Körperschema ist die Vorstellung vom eigenen Körper hinsichtlich seiner räumlichen Ausdehnung und Lage im Raum und ein Teil der Propriozeption. Von der Propriozeption lässt sich die Viszerozeption abgrenzen, die Wahrnehmung der inneren Organe. Unser Körperschema gibt uns Tiefensensibilität. Dazu gehört die Wahrnehmung aus dem Körperinneren im Hinblick auf den Lagesinn (Positionssinn), also die Position des Körpers im Raum und die Stellung der Gelenke und des Kopfes, den Kraftsinn, also den Spannungszustand von Muskeln und Sehnen, und dem Bewegungssinn (Kinästhesie) für Bewegungsrichtungen. Ohne Körperschema wäre das nicht möglich. Das Körperschema beschreibt insgesamt die propriozeptiven, taktilen und vestibulären Wahrnehmungsvorgänge.

Unser Körperschema entwickelt sich mit dem Alter zur Perfektion. Kleinen Kindern fällt es deswegen noch schwer, den Löffel mit Brei „unfallfrei“ zum Mund zu balancieren. Am besten ausgeprägt ist das Körperschema im Alter von etwa 23 Jahren. Mit steigendem Alter wird es leider wieder schlechter, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass es alten Menschen häufig relativ schwer fällt, zu balancieren. Dass wir ein Körperschema haben, verdanken wir der Physik, genauer gesagt der Schwerkraft. Ohne sie wäre das Empfinden unseres Körpers im Raum nicht in der von uns gewohnten Form möglich, wie Erfahrungen von Astronauten zeigen. In Schwerelosigkeit löst sich das Gespür für die eigene Körperhaltung schnell auf. Wie schnell, zeigen Bettruhestudien. Testpersonen, die zwei Monate in liegender Position verbracht haben, sind in ihrer Koordination deutlich eingeschränkt, nicht nur, weil die Muskeln schwinden, sondern auch die Wahrnehmungssensitivität des eigenen Körpers nicht trainiert wird.

Wie wichtig die Propriozeption ist, merken wir unter normalen Umständen auch manchmal, nämlich wenn wir seekrank werden. Seekrankheit entsteht im Grunde dadurch, dass verschiedene Sinnessysteme unterschiedliche Informationen an das Gehirn senden. Wenn man sich im Inneren eines Schiffs befindet, fehlt den Augen der Bezugspunkt zu der Bewegung des Körpers, die über Propriozeption und Vestibulärorgan an das Gehirn gesendet werden. Hilfreich bei Seekrankheit ist es daher, den Blick auf den Horizont zu lenken und damit die Bewegung auch visuell aufnehmen zu können. Ein Mittel, Seekrankheit perfekt vorzubeugen, gibt es indes nicht. Selbst erfahrene Seebären leiden darunter. Selbst Darwin hatte nach seinen langen Forschungsreisen immer noch mit ihr zu kämpfen, unter anderen auf seiner Fahrt zu den Galapagos-Inseln.

Neben der Seekrankheit, die durch nicht übereinstimmende Inputs unserer Sinnessysteme zustande kommt, gibt es noch weitere Störungen der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Hierzu zählen Dysästhesien, also Empfindungsstörungen, und Parästhesie. Man spricht bei letzterer auch von „Ameisenlaufen“. „Parästhesie“ beschreibt das krankhafte Empfinden von „Kribbeln“ in Körper. Schuld daran sind neuronale Störungen im Versorgungsgebiet von Hautnerven.

Psychisch bedingt hingegen ist der Dermatozoenwahn („Haut-Tiere-Wahn“, „Ekbom-Syndrom“). Betroffene leiden hierbei unter der wahnhaften Vorstellung, dass sich Lebewesen (meistens Würmer oder kleine Insekten) unter ihrer Haut bewegen. Dieses Erleben kann infolge massiven und anhaltenden Alkoholkonsums oder von Drogensucht auftreten.

„Dysmorphophobie“ letztlich beschreibt ebenfalls eine Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Die Betroffenen haben Angst, entstellt zu sein und erleben eigene Körperteile als abstoßend und unvollkommen. Ein stark verzerrtes Bild ihres Körpers haben oft Magersüchtige. Sie finden sich nicht nur zu dick, sondern schätzen auch die Proportionen ihres Körpers falsch ein, zeichnen ihre Körperumrisse zum Beispiel viel breiter, als sie tatsächlich sind.

Als gesunder Mensch macht man sich über die Wahrnehmung des eignen Körpers weniger intensive Gedanken. Und von den Mechanismen der Propriozeption bekommen wir im Alltag bewusst wenig mit. Dabei verdanken wir der ständigen Rückmeldung von Zellen an Sehnen, Muskeln, Bändern in Kombination mit unserem Tast- und Gleichgewichtssinn, dass wir uns so intuitiv in unserer Umwelt bewegen und präzise Handlungen wie das Greifen nach einem Gegenstand oder das Trinken aus einem Glas bewerkstelligen können, ohne dass unsere Augen immer alles kontrollieren müssten.  

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