Tolle Knolle aus den Anden – Wie die Kartoffel nach Deutschland kam

Die Kartoffel gehört in Deutschland zu den Grundnahrungsmitteln und stellt eine beliebte Beilage dar. Etwa 60 Kilogramm Kartoffeln verspeist jeder von uns im Jahr, zum Beispiel in Form von Gratin, Pommes Frites, Chips, Kartoffelpüree oder Salzkartoffeln.

Auch in anderen europäischen Ländern ist der Erdapfel sehr beliebt. Auf den Kanaren zum Beispiel gibt es in vielen Restaurants die dort typischen kleinen runzligen Salzkartoffeln mit pikanter Mojosauce. Dass die Kartoffel so beliebt ist, das war das nicht immer so. Als die vielseitige Knolle nach Europa kam, waren die meisten Menschen eher skeptisch. Besonders in Deutschland wusste man lange Zeit nichts anzufangen mit dem Knollengewächs.

Wildformen der Kartoffel wurden vermutlich schon vor 8.000 bis 10.000 Jahren gegessen Weltweit gibt es etwa 5000 Kartoffelsorten, in Südamerika ist die Vielfalt nach wie vor besonders groß. Wer dort auf den Märkten unterwegs ist, findet eine faszinierende Auswahl. Denn ihren Ursprung hat die Kartoffeln in den Anden. In den Höhenlagen Perus und Boliviens, auf über 4000 Metern Höhe, kann es das ganze Jahr über Frost geben. Viel wächst in diesem rauen Klima und in der Höhe nicht. Aber Kartoffeln können die widrigen Bedingungen ab. Sie gedeihen auch in kargen Böden.

Für die Inka stellte die Kartoffel ein Hauptnahrungsmittel dar. Auch heute noch leben viele Bauern in den Anden vom Kartoffelanbau. Auf den Märkten kann man als Europäer über die angebotene Vielfalt nur staunen: Verkauft werden lilafarbene, rote und gelbe Kartoffeln, einige sind runzelig, andere haben längliche Formen, fast wie Karotten. Bei uns in Deutschland dominieren seit einigen Jahren leider nur noch wenige Sorten wie Annabelle und Linda.

Im Inkareich war die Kartoffel nicht nur Grundnahrungsmittel, sie diente zeitweilig auch als Zahlungsmittel, und zwar in konservierter Form: gefrostet und getrocknet. Auch als Proviant für die Soldaten war sie sehr beliebt. Ironischerweise waren es auch Kriege und Hungersnöte, die in Deutschland die Kartoffel zur beliebten Speise gemacht haben.

Auch heute noch glauben viele Menschen in Peru und Bolivien an die „Pachamama“ die „Mutter Erde“ als allumfassende Kraft. Zudem schufen die Inka eine Göttin eigens für die Kartoffel, die „Axomama“. Weit weniger geschätzt wurde die Kartoffel, als die Eroberer Südamerikas sie vor etwa 450 Jahren nach Europa mitbrachten. Die Menschen wussten nicht, wie sie die Kartoffeln anbauen und zubereiten sollten. Der Verzehr der Blüten und oberirdischen Teile rief Übelkeit hervor, so dass eine Zeitlang die Kartoffel ein Dasein als Zierpflanze in Gärten fristete, anstelle als Nahrungsmittel Verwendung zu finden. Kartoffeln haben hübsche weiße bis rosafarbene Blüten und bilden oberirdisch kleine Früchte aus, etwa kirschengroß. Isst man sie, verursachen sie Bauchschmerzen und Übelkeit. Das erschien den Menschen im Mittelalter seltsam, da bei anderen Pflanzen auch die aus den Blüten entstehenden Früchte und nicht etwa die Wurzeln bekömmlich waren. Auch Radieschen wurzen zu dieser Zeit kritisch beäugt. Man sprach ihnen eine aphrodisierende Wirkung zu. Kartoffeln hingegen zählten klar zu den „Hexenpflanzen“, von denen man sich am besten hütete. Vielen Deutschen waren die Knollen suspekt, besonders, weil sie unter der Erde wuchsen. Teilweise wurden sie mit anderen Nachtschattengewächsen gleichgesetzt, insbesondere der Alraune. Hildegard von Bingen hatte über die Alraune geschrieben, der Teufel wohne in ihr. Die Leute hatten Angst vor dem Gewächs, da die Gestalt der Wurzeln oftmals an menschliche Körper erinnert. Auch die berauschenden Wirkungen der enthaltenen Substanzen verursachten Angst und Unsicherheit. Viele Vertreter der Nachtschattengewächse sind giftig und haben toxische Wirkungen. Man verteufelte sie daher. Die Kartoffel fiel quasi automatisch unter diesen Bann der „Hexenpflanzen“.

Auch heute gilt natürlich noch: Gegessen werden können von der Kartoffelpflanze nur die Knollen und diese auch nur gekocht. Vor der Zubereitung sollte man eventuelle Triebe wegschneiden. Denn diese „Augen“ enthalten giftiges Solanin.

Aber Not macht erfinderisch und letztlich führten Hunger und Krieg dazu, dass die Vorbehalte gegen die Kartoffel mit der Zeit abnahmen. Zudem kurbelte Friedrich II den Anbau der Knollenfrucht an. In seinen „Kartoffelbefehlen“ ordnete er das Pflanzen von Kartoffeln an: „Wo nur ein leerer Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden, da diese Frucht nicht allein sehr nützlich zu gebrauchen, sondern auch dergestalt ergiebig ist, daß die darauf verwendete Mühe sehr gut belohnt wird.“ Das Ziel war, dass die Bauern auf mindestens einem Zehntel ihres Ackerlandes Kartoffeln anbauten. Denn zu Zeiten Friedrichs des Großen waren die Weizenernten wiederholt schlecht ausgefallen. Der Alte Fritz forcierte daher den Kartoffelanbau. Angeblich ließ er sogar Kartoffelfelder von Soldaten bewachen, um sie für die Bauern attraktiver zu machen. Die Bauern sollten sie stehlen und bei sich selbst anbauen. Den Vorteil der Kartoffel sah Friedrich der Große in ihrer Genügsamkeit. Sie wächst auch auf kargen Böden. Zudem konnte sie nicht wie Getreide so einfach zerstört werden. Der unterirdische Wuchs schützte sie wenn beispielsweise Soldaten über die Felder und Wiesen zogen. Außerdem liefern Kartoffeln mehr Energie als Getreide, müssen nicht erst mühsam gemahlen und zu Mehl verarbeitet werden.

Infolge des Bevölkerungswachstums insbesondere in den Städten, setzte sich im 19. Jahrhundert die Kartoffel als Grundnahrungsmittel in Deutschland endgültig durch. Heute essen die Deutschen im Vergleich zu dieser Zeit nur noch ein Fünftel der Menge an Kartoffeln. Damals war aber auch das Nahrungsangebot ein ganz anderes, Obst und Gemüse waren für viele Menschen absoluter Luxus. Die Kartoffel wurde zur Speise für die arme Bevölkerung. Denn immer mehr Menschen wollten versorgt werden. Zu Beginn der Industrialisierung hatte sich die Zahl der Bewohner in Europa im Vergleich zu der Zeit, zu der die Kartoffel nach Europa gekommen war, etwa verdoppelt.

Mit der Kartoffel ließen sich die vorhandenen Ackerflächen effektiver nutzen als bisher. Wie abhängig die Menschen in Europa von der Knolle wurden, zeigen die gravierenden Folgen der Kartoffelfäule, die insbesondere in Irland im Jahr 1845 grassierte. Viele Menschen litten Hunger. Heute werden weltweit jährlich Milliarden Dollar für chemische Mittel zur Bekämpfung der Kartoffelfäule ausgegeben. Auch spätere Plagen wie der Kartoffelkäfer sorgen für Ernteausfälle.

In Deutschland suchten Kinder in den „Kartoffelferien“ die Käfer von den Pflanzen, sogar noch bis vor wenigen Generationen. Im Jahr 1935 wurde der „Kartoffelkäfer-Abwehrdienst“ ins Leben gerufen und Kinder gezielt aufgerufen, beim Absammeln der Käfer zu helfen.

Heutzutage sind die Herbstferien keine „Kartoffelferien“ mehr, und wir haben ein Überangebot an Nahrung. Der Konsum von Kartoffeln ist daher auch wieder zurückgegangen. Die Kartoffel ist aber ein wichtiger Bestandteil unserer Ernährung geblieben. Mit 60 Kilogramm pro Jahr pro Kopf liegen wir in Sachen Kartoffelverzehr allerdings eher im europäischen Durchschnitt. In Irland und im Baltikum beispielsweise erfreut sich der Erdapfel noch bis heute weit größerer Beliebtheit.

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